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Aus der Zeit gefischt: Neues Wissen aus getrocknetem GartenSchutz des Amazonas-Regenwaldes

Martin Hicklin



Es ist ein seltsam feierliches Gefühl einer Pflanze zu begegnen, die vor mehr als vierhundert Jahren in Basel getrocknet, in einen exakt gefalteten weissen Bogen von neu geschöpftem Papier gelegt und beschriftet wurde, um fortan immer wieder mal angesehen, kommentiert und bewundert zu werden. Erst recht, wenn es sich bei dem Exsikkat, aus dem längst jedes Grün gewichen ist, um die wohl erste in Basler Boden gewachsene Kartoffelpflanze han-

delt. Es war Caspar Bauhin (1560 – 1624), der dank seiner exzellenten Beziehungen auch von dieser aus der Neuen Welt eingeführten Pflanze Samen und eine keimfähige Knolle

beschaffen konnte, um sie in dem für ihn am Rheinbord angelegten ersten Botanischen Garten der Universität aufzuziehen und für eine Ewigkeit zu konservieren.


Es ist der älteste Beleg Europas einer Solanum tuberosum und einer von über 2700 wunderbarerweise noch erhaltenen Belege aus dem einst noch viel umfangreicheren Herbar, das Bauhin schon mit 17 anzulegen begonnen und stetig wachsend sein Leben lang als Arbeitsinstrument genutzt hatte.


Bis Anfang 2025 ist das Kleinod in einer reichhaltigen Ausstellung zu sehen, die der Herbarien-Kurator der Universität Basel Jurriaan M. de Vos und der emeritierte Botanik-

professor Jürg Stöcklin in der Universitätsbibliothek Basel organisiert haben. Denn Caspar Bauhins Todestag jährt sich am 5. Dezember 2024 zum 400sten Mal. Perfekter Grund, den Mann, der sich gern im Gelehrtenhabitus mit langem, mit der Brennschere onduliertem Bart abbilden liess, ins rechte Licht zu rücken. Er hat Unglaubliches geleistet. In Botanik und Anatomie, den beiden Schwestern in der damaligen Medizin.


Es hätte auch schief gehen können: Denn ganze drei Tage lang habe seine Mutter in den Wehen gelegen, bis am Morgen des 15. Januar 1560 der zweite Sohn und das jüngste Kind des 1543 nach Basel geflüchteten Hugenotten Jean Bauhin (1511 – 1582) endlich das Licht der Welt erblickte. Mutter und Kind waren in ernster Gefahr gewesen. Der kleine Caspar sei zuerst kränklich geblieben und habe erst mit fünf Jahren zu sprechen begonnen. Doch dann muss er mächtig aufgeholt haben. Er profitiert von den sprachlichen Kenntnissen und der Förderung seines Vaters, vielleicht auch seines 19 Jahre älteren Bruders Johannes (1541 – 1613). Beide waren gut vernetzte Mediziner mit Patienten in vornehmen Kreisen und interessierten sich intensiv für Botanik. Denn Pflanzen lieferten den Löwenanteil der verabreichten Arzneien. Vater Bauhin hatte schon einen privaten medizinischen Garten, wie auch der Bruder es neben

seiner Praxis als Stadtarzt in Lyon, Genf und später Mömpelgard (Montbéliard) hielt. Johannes hatte gar an einer dreibändigen, kostspieligen «Historia plantarum» gearbeitet, die erst lange nach seinem Tod gedruckt werden konnte.


Caspar besuchte die Schule «Auf Burg» bei dem vom Geisshirt zum Humanisten und Griechischlehrer gewordenen Thomas Platter und trat mit 15 Jahren der Medizinerfakul-

tät der Universität bei. Der Vater hatte ihn bereits mit Anatomie vertraut gemacht und schon mit 12 Jahren soll er bei einer öffentlichen Leichenöffnung dabei gewesen sein, die sein 19 Jahre älterer Bruder Johannes in Basel durch führte.


Bereits mit 17 ging Caspar Bauhin – wie sein Bruder zuvor – auf eine Tour zu den Granden der Medizin und Botanik in Bologna und Padua, Montpellier und Paris. Da war auch schon Felix Platter (1536 – 1614) gewesen, Sohn des Thomas und lange Basels Stadtarzt. Er wird Mentor des jungen Bauhin. Für den jungen Caspar Bauhin war die Begegnung mit führenden Köpfen der Botanik und Medizin prägend, er unternimmt eigene Exkursionen und beginnt Belege zu

sammeln. Gerade ist die Technik der Konservierung von getrockneten Originalpflanzen in einem Herbar entwickelt worden. Ein «Hortus siccus», den man immer begehen und mit neuen Stücken aus aller Welt erweitern kann.


Aus den Begegnungen entsteht ein Netzwerk, das am Ende mindestens 91 Köpfe zählen und sich über ganz Europa mit Ausläufern nach China und die Neue Welt erstrecken wird.

1580 zurück in Basel, führt Caspar Bauhin seine erste öffentliche Leichenzergliederung durch, betreut privat botanische Exkursionen und beeindruckt als junger Doktorand in beiden Feldern mit Wissen und didaktischen Fähigkeiten. 1581 verteidigt er erfolgreich seine Dissertation mit Thesen zur Darmkolik und wird mit 22 Jahren von der Universität als – Griechischprofessor an der Artistenfakultät angestellt. Felix Platter, Professor für praktische Medizin und Stadtarzt, ist eine treibende Kraft. Auch er seziert und lehrt. Für botanische Instruktionen legt er sich ein in Foliobände montiertes Herbar an, das zum Teil heute in Bern aufbewahrt wird. Der Ansturm zur Medizin ist gross und wachsend. 1589 wird deshalb erstmals eine dritte Professur, diesmal für Anatomie und Botanik eingerichtet und Caspar Bauhin eingesetzt. Eine Blütezeit beginnt.


In der alten Universität werden Bauhin nach oberitalienischem Vorbild ein Theatrum anatomicum für öffentliche Sektionen sowie ein Hortus medicus eingerichtet. Caspar

Bauhin hat den Auftrag, seine Anatomievorlesungen durch regelmässige Leichenöffnungen zu ergänzen und botanische Exkursionen zu veranstalten. Bauhin wird bald ein produktiver anatomischer Autor. Bereits mit 30 Jahren gibt er ein Lehrbuch mit dem Titel «De corpore humani partibus externis tractatus» heraus, das laufend erweitert wird und schliesslich auch erstmals ausführlich die weiblichen Geschlechtsteile beschrieb. Das Lehrwerk wurde bis 1615

immer wieder neu aufgelegt. 1605 lanciert Bauhin sein «Theatrum anatomicum» mit mehr als 1300 Seiten, zahlreichen Abbildungen und einem ausführlichen Register.


In seinen Werken konnte sich Bauhin auf die Abbildungen stützen, die Andreas Vesal in seinem 1543 in Basel gedruckten epochalen grossformatigen «De humani corpore fabrica libri septem» verwendet hatte. Der Ruf Basels als Ausbildungsort wird stetig besser.


Auch in der in dieser Zeit über ihren medizinischen Nutzen hinaus aufblühenden Botanik verschafft sich Bauhin grosses Ansehen. Mit zunehmendem Alter wächst sein Engagement für die Pflanzen. Schon früh hatte er sich vorgenommen, die damals bunte und wortreiche Namensgebung der Pflanzen zu vereinfachen und die Systematik übersichtlicher zu gestalten. In seinem mit Registern gut erschlossenen Werk «Phytopinax» sammelt er die verschiedenen oft wirklich blumenreichen Namen von insgesamt 2640 bekannten und 164 hier neu beschriebenen Pflanzen. Er führt auch eine neue einfachere zweiteilige Namensgebung ein wie Solanum tuberosum, die es vereinfacht, über Pflanzen zu sprechen. Vieles davon übernahm der grosse Pflanzenordner Carl von Linné gut 150 Jahre später in seinem Werk «Species plantarum» von 1753. Denn als Vorlage hatte dem Schweden ein grosses Herbar des Bauhinschülers und -helfers Joachim Burser (1583 – 1639) gedient, das exakt nach Bauhinscher Art geordnet war und 25 Bände umfasste.


Einzigartig und auf die Bedürfnisse der Studierenden ausgerichtet war Bauhins 1624 im praktischen Oktavformat gedruckter «Catalogus Plantarum circa Basileam», eine erste lokale Flora im praktischen Taschen-Format mit Angabe von Fundorten, geeignet für Exkursionen vom heute französischen Hüningen bis hin zur Wasserfalle bei Reigoldswil, wo sich Bauhin offenbar bestens auskannte.


Das Lebenswerk krönend hätte am Ende das gesamte gesammelte Wissen in einem von Caspar Bauhin konzipierten «Theatrum botanicum» im Folioformat versammelt werden sollen. In einem 1623 publizierten «Pinax Theatri Botanici», so etwas wie ein Inhaltsverzeichnis der auf zwölf Bände geplanten Enzyklopädie, sind 5600 Pflanzen aufgeführt.


Doch das Opus magnus scheitert. Caspar Bauhin verstirbt zu früh, fast 65 Jahre alt, am 5. Dezember 1624. Erst 1658 lässt sein Sohn Johann Caspar den ersten 684-seitigen mit

Holzschnitten illustrierten Band über Gräser drucken. Zwei weitere Bände sollen druckreif gewesen sein, sind aber nie erschienen. Was aus dem Material und vorhandenen Druck-

stöcken geworden ist, bleibt ein Rätsel.



Atemberaubend, was der extrem produktive Bauhin geleistet hat. 2500 Briefe seiner Korrespondenz sind noch erhalten. Handfeste Belege für ein weitläufiges Netzwerk, über das er neues Material für sein Herbar erhielt oder erfuhr, was in gelehrt geführten Gärten Neues zu haben war. Wie hat der drei Mal verheiratete, zwei Mal verwitwete Vater von sieben Kindern das alles ohne die heutigen technischen Mittel geschafft? Hunderte von Doktorprüfungen fanden in Bauhins Amtszeit statt. Dreimal bekleidete er das Amt des Rektors. Er hielt Vorlesungen, ging auf Exkursionen, zerlegte Leichen – wenn es sie denn gab – oder Tierkadaver. Im Winter Anatomie ab morgens sieben Uhr, Botanik im Sommer ab sechs, Basler Zeit. Auch als Arzt wird er gefordert gewesen sein. Die vornehmen Patientinnen und Patienten wollen besucht werden. Längere Abwesenheiten müssen kompensiert werden. Fünf Pestzüge suchen Basel in seiner Lebenszeit heim. Nach Felix Platters Tod macht der Rat ihn gegen seinen Willen zum Stadtarzt. Die Zeit für Botanik wird knapp.


Bauhin arbeitet sicher gründlich. Berge von Literatur muss er durchsuchen und auswerten, zerstreute Daten sammeln, sortieren und kritisch begutachten. Schliesslich wird er auch

Berge von eigenen Aufzeichnungen – seine Fieldnotes – geordnet und ausgewertet haben. Chapeau! Jetzt darf man wieder atmen.







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