Die Klimakrise setzt viele Baumarten unter Stress, die Wälder verändern sich in einem bisher nicht gekannten Tempo. Selbst Baumarten wie die Buche, die auf geeigneten Standorten grossflächig dominierten, kommen mit dem Klima nicht mehr klar. Fieldnotes hat den Förster und Waldökologen Andreas Rigling in Muttenz zu einem Spaziergang getroffen und dem Wald den Puls gefühlt. – Samuel Schlaefli

I ch treffe Andreas Rigling an einem sonnigen Mittwochmorgen Mitte August in einem Waldstück namens Grosszinggibrunn, wenige Kilometer südwestlich von Muttenz im
Kanton Baselland. Er trägt Wanderschuhe, eine khakifarbene Hose mit Fronttaschen und einen Trekkingrucksack, in dem ein Feldstecher steckt. Später wird er nach Zürich fahren, an die ETH, wo er als Professor lehrt und forscht. Von der Strasse gelangen wir auf eine helle Lichtung und folgen einem Pfad, der an hohen Buchen vorbei in den Wald hineinführt. Es ist still, vereinzelt hört man einen Vogel pfeifen, Insekten und Bienen summen. Es riecht nach Harz und Humus. Obwohl die Sonne schon hoch steht, ist es im Schatten des Laubes angenehm kühl. Ich hatte Rigling gebeten, für den gemeinsamen Spaziergang einen Ort auszusuchen, wo man dem Wald den Puls fühlen kann und die Folgen der globalen Erhitzung bereits sichtbar sind.
Nach wenigen Metern hält der Waldökologe an, schaut sich um und beginnt zu erzählen: «Dieser Buchenwald ist etwa 80 bis 100 Jahre alt, die Bäume sind bis 30 Meter hoch, das
ist also ein wüchsiger Standort. Doch wenn wir in die Baumkronen schauen, sehen wir, dass die Blattspitzen weit oben teils bereits gelb sind.» Achtet man sich erst einmal, so sieht man plötzlich, dass bei vielen Bäumen das Laub im unteren Bereich zwar sattgrün ist, die Baumkronen jedoch schütter und teils gelb sind. «Der Baum muss bei Trockenheit mehr Kraft aufwenden, um das Wasser aus dem Boden zu ziehen und es durch den Stamm bis in die Krone zu transportieren», erklärt Rigling. «Es ist zu trocken und die Bäume können die Kronen nicht mehr ausreichend mit Wasser versorgen. Deshalb sind sie so schütter.» Er macht eine Pause und schickt nach: «Vor 20 Jahren wären diese Bäume Mitte August noch tiefgrün gewesen; ein solches Waldbild hatten wir in der Vergangenheit erst im September.»
Aufeinanderfolgende Trockenjahre als «game changer»
Aber hatten wir uns im Jahr 2024 nicht wochenlang dar-über beschwert, dass der Sommer nicht richtig beginnen will, weil es sowohl im Frühling als zu Beginn des Sommers so oft geregnet hat? «Die Förster und Waldforscher waren über diesen feuchten Sommeranfang sehr froh. Den Wäldern ging es Anfang Jahr gut – und wir hatten das Gefühl, dass sie sich erholen können», erzählt Rigling. «Nun sehen wir aber, dass die Niederschläge nicht ausreichten.» Grund dafür sei-en die zahlreichen äusserst trockenen Jahre davor: 2015 war das trockenste Frühjahr seit Messbeginn. Dann 2018, 2019, 2020, 2022 und 2023 – alle extrem heiss und trocken. «Wir nennen das in der Ökologie einen «game changer»», sagt Rigling. «Mit einzelnen Trockenjahren kann der Wald gut umgehen, aber nicht mit einer ganzen Serie davon.»
Bäume reagieren auf klimatische Veränderungen in ihrer Umgebung: Wenn es zu heiss und trocken wird, schliessen sie die Spaltöffnungen (Stomata) auf den Blättern, dadurch reduzieren sie die Verdunstung und den Wasserverbrauch. Mit dem Ergebnis, dass der Baum weniger Photosynthese betreibt, er lagert weniger Kohlenstoff ein und produziert weniger Zucker. Dadurch entsteht weniger Biomasse, was sich in kleineren Baumringen bemerkbar macht. Für ein Jahr ist das kein Problem; schon früher gab es immer wieder trockene Jahre, zum Beispiel 1947 oder 1976. «Veränderungen gehören zum Klimasystem, aber die Häufung von Extremjahren ist problematisch. Stress nimmt nicht linear, sondern exponenziell zu. Bei einer Serie von Trockenjahren können sich viele Baumarten schlicht nicht mehr erholen.»
Was jedoch auch Expert:innen überrascht hat: Seit Kurzem zeigen auch Buchen Stresssymptome. Sie galten lange als relativ tolerant gegenüber Trockenheit, vor allem im Vergleich mit Fichten, die bereits seit der Jahrtausendwende extrem gelitten haben. Tausende von Quadratkilometern Fichtenwälder in Deutschland, Österreich und der Schweiz, von den Dolomiten bis nach Tschechien, wurden vom Borkenkäfer dahingerafft. Dieser profitiert von den neuen Bedingungen: Er vermehrt sich schneller und die Bäume sind durch die Trockenheit geschwächt. Das hat zur Folge, dass sie weniger Harz produzieren, was ihre natürliche Abwehr gegen Schädlinge ist, denn mit dem Harz ersäufen sie den Käfer. «Doch anders als bei den Fichten waren im extrem trockenen 2003 in Laubmischwäldern mit vielen Buchen fast keine Schäden zu erkennen», erzählt Rigling. «Das Trockenjahr 2018 hat dann aber alles auf den Kopf gestellt. Seither sehen wir, dass auch die Buchen trockenbedingt grossflächig absterben.»
Der Wald im Umbau
Wir laufen den Pfad entlang weiter in den Wald und bemerken, dass gewisse Bäume markiert sind. Eine Linde trägt einen einzelnen horizontalen Strich, sie bleibt stehen. Mehrere Buchen sind mit vertikalen Strichen markiert; sie werden bald gefällt. «Hier wird wahrscheinlich der Wald verjüngt, um andere Bäume, wie die Linde und Eiche, zu begünstigen, die trockenresistenter sind», erklärt Rigling. «Viele Förster reagieren auf den Klimawandel und machen den Wald fit für die Zukunft.» Was man hier sehe, sei Teil eines grossen «Waldumbaus», der in Hinblick auf die Klimakrise nötig sei. Rigling mag den Begriff zwar nicht, weil er «sehr anthropozentrisch» sei. Gleichzeitig ist er überzeugt: «Wenn wir die Leistungen beibehalten wollen, die der Wald für die Gesellschaft erbringt – Holzertrag zum Bauen, Kohlenstoffsenke, Raum für Erholung, Filter für die Trinkwasseraufbereitung, – dann müssen wir ihn an die sich ändernden Bedingungen anpassen.»
Der ehemalige Förster ist begeistert von der Vielfalt in Grosszinggibrunn. Es gibt Linden, der Ahorn wurde stehen gelassen, etwas tiefer im Wald drin findet er einen Holunder. «Solche Sträucher sind wichtig für viele Insekten und Vögel und sie bieten dem Wild Futteralternativen zu den jungen Baumknospen.» Auch Weiden hat der Förster stehen gelassen, die zur Förderung der Biodiversität wertvoll sind. Und er hat Totholz zu Haufen aufgeschichtet, die wichtigen Lebensraum für Waldtiere bieten. Rigling erinnert sich an seine eigene Försterausbildung vor 40 Jahren: «Damals wurde noch jeder tote Baum aus dem Wald geholt. Alles andere galt als Unordnung. Nach einem Holzschlag wurden die Äste verbrannt, manchmal wurden noch Pneus und Benzin draufgeworfen, damit das Grünholz besser brannte. Das ist heute undenkbar!» Dann, in den 80er-Jahren wurden die Äste nicht mehr verbrannt, sondern zu «Ökohaufen» aufgeschichtet, wie die Asthaufen damals genannt wurden. Der Naturschutz wurde immer wichtiger und bei vielen Förster:innen fand ein Umdenken statt.
Das bedeutet für Rigling jedoch nicht, dass kein Holz mehr gefällt wird. «Es gibt auch im Umgang mit dem Wald eine Ethik. Man sollte Holz fällen und nutzen, aber man muss es
gut machen.» Gut heisst in diesem Falle, das Holz so lange in einem Kreislauf halten wie möglich. Holz zuerst als Baustoff nutzen, um CO2-intensiven Beton zu ersetzen. Und spä-
ter als Brennstoff, um Gas und Erdöl zu ersetzen. Heute würden jedoch noch über 50 % des Schweizerholzes direkt im Ofen landen. Das sei unsinnig. Rigling glaubt, dass sich das bald ändern könnte, denn die EU plant, rund 20 % der Wälder aus der Nutzung zu nehmen (die Schweiz strebt 10 % an). Das käme einer massiven Verknappung des Angebots im Ausland gleich. Umso wichtiger sei es, in der Schweiz einen nachhaltigen Holzsektor zu fördern, sagt Rigling. Im Forschungsprojekt «MainWood» analysiert er derzeit mit über 30 Forschenden, wie sich die gesamte Holzverarbeitungs-lieferkette in der Schweiz entwickeln müsste, damit mehr
Schweizer Holz im Bau verwendet wird. Dabei stellt sich auch die Frage, was der Wald unter sich verändernden Klimabedingungen überhaupt noch hergibt und welche Holzprodukte in Zukunft gefragt sind?
Naturnahe Bewirtschaftung anstelle von Verwilderung
Rigling hält nicht viel von Forderungen nach einem grossflächigen «Rewilding» der europäischen Wälder, bei dem diese komplett aus der Nutzung genommen werden, wie es beispielsweise der populäre deutsche Förster, Podcaster und Buchautor Peter Wohlleben fordert. «In rumänischen Buchenurwäldern oder in ursprünglichen schottischen und
skandinavischen Föhrenwäldern zu wandern – das ist schlicht magisch! Und es braucht sie auch in der Schweiz, keine Frage. Aber es kann nicht sein, dass wir alles unter Schutz stellen, den Wald grossflächig aus der Nutzung nehmen und dann Holz aus den Tropen importieren, um un-seren Bedarf zu decken.» Rigling plädiert stattdessen für eine naturnahe Bewirtschaftung, die gezielt schneller vielfältige Wälder hervorbringt, als wenn man sie sich selbst überlässt. Zwar könne es sinnvoll sein, junge Wälder für eine gewisse Zeit aus der Nutzung zu nehmen, auch im Hinblick auf ihre Wirkung als CO2-Senke, aber nicht grossflächig und langfristig.
Spricht der Waldökologe mit Förstern, dann trägt er meist den Biodiversitätshut und setzt sich zum Beispiel dafür ein, alte und knorrige Bäume stehen zu lassen, als wichtigen Lebensraum für gefährdete Arten. Wenn er hingegen mit Naturschützern spricht, dann argumentiert der ehemalige Förster für eine bewusste und ökologische Nutzung von Holz. Für Rigling sind Waldbewirtschaftung und Biodiversitätsförderung keine Gegensätze – und dafür gebe es auch gute Beispiele. Gemeinsam mit über 160 Expert:innen aus Wis-senschaft und Verwaltung hat er 2020 ein Buch veröffentlicht, in dem 32 vorbildliche Beispiele aus der forstlichen Praxis in Europa gesammelt sind, um Biodiversitätsförderung und Holzproduktion zu kombinieren. Ein Beispiel, das Rigling besonders gefällt, ist die Wiedereinführung der Waldweide mit Ziegen und Schafen in Girona. Indem dieTiere gut brennbares Unterholz fressen, wird das Risiko für Waldbrände reduziert – und gleichzeitig wird Holz genutzt und durch den Verkauf von Fleisch, Käse und Joghurt die lokale Wirtschaft angekurbelt.
Auch gebietsfremde Arten haben ihren Platz
Wir gehen weiter in Richtung einer Lichtung, wo unser Spaziergang enden wird. Dabei kommen wir an einer brusthohen Douglasie vorbei. Rigling nimmt einen Zweig und reibt ihn zwischen seinen Fingern. Ein frischer Duft nach Grapefruit und Zitrone macht sich breit. Für viele Naturschützer:innen ist die Douglasie ein rotes Tuch, weil sie gebietsfremd ist; manche bezeichnen sie als invasiven Neophyten. Der Baum kommt ursprünglich aus Nordamerika, ist
aber in Europa und der Schweiz immer öfter zu sehen, weil er ähnliche Holzeigenschaften hat wie die Fichte und die Tanne, aber besser mit Trockenheit umgehen kann. Für Rigling gehört die Douglasie zur Palette der Möglichkeiten, um auch in Zukunft Nadelholz zu produzieren und den Wald zukunftsfähig «umzubauen». «Sie ist doppelt so wüchsig wie viele andere Bäume, produziert hochwertiges Holz und wir haben in Europa mehr als 100 Jahre Erfahrung mit ihrem Anbau.» Studien hätten zudem gezeigt: Die Douglasie sei grundsätzlich nicht invasiv, nur auf trockenen und sauren Standorten könne sie zum Problem werden. Zwar seien aus
Biodiversitätssicht lokale Arten wertvoller, weil sie der Flora und Fauna bessere Habitate bieten. «Aber weshalb sollten Förster die Douglasie nicht nutzen, um auch in Zukunft Holz zu produzieren, einen wertvollen und erneuerbaren Rohstoff? Aktuell haben wir in Schweizer Wäldern unter einem Prozent fremde Holzarten; das ist unproblematisch.»
Rigling forscht aktuell auch zu weiteren Baumarten, die im Rahmen der fortschreitenden Klimakrise an Bedeutung gewinnen könnten; darunter die Linde, die Elsbeere, der Spitzahorn, und auch die Zeder. «Der Spitzahorn hatte 2018 fast keine Probleme mit der Trockenheit. Wir wollen besser verstehen weshalb. Und wir wollen mit unserer Forschung ein Argumentarium aufbauen, auf dessen Basis fundierte Entscheide für den Wald der Zukunft getroffen werden können.» Und wie schätzt Rigling die Situation für den hiesigen Wald in Grosszinggibrunn ein – wird die Buche mittelfristig verschwinden? Das glaubt Rigling nicht. «Die Buche wird sich wahrscheinlich in der Mischung behaupten können, aber die nächste Generation wird nicht mehr so hoch werden und sie verliert an Konkurrenzkraft gegenüber anderen Arten, wie der Eiche, die besser mit Wasserstress umgehen kann.» Die Buche ist eine Klimaverliererin; die Eiche eine Klimagewinnerin. Der Natur ist das an sich egal, wir hinge-gen müssen Strategien finden, um mit diesem Wandel zu leben.

Andreas Rigling – Andreas Rigling hat sein halbes Leben in Wäldern verbracht. Er wurde 1964 in Schaffhausen geboren und verbrachte schon früh viel Zeit in den nahegelegenen Wäldern. Mit einer Lehre als Forstwart machte er seine Leidenschaft zum Beruf. Er holte die Matura auf zweitem Bildungsweg nach, studierte Forstwissen-
schaften an der ETH Zürich und absolvierte ein Doktorat in Holzana-tomie und Dendroökologie an der Universität Basel. Danach arbeitete er fast 30 Jahre lang an der «Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft» (WSL) als Leiter der Forschungseinheit «Walddynamik» und als Mitglied der Direktion. 2022 wechselte Rigling als Professor für «Waldwachstum und globale Veränderungen» an die ETH Zürich. Seine Forschung fokussiert auf die Folgen des
Klimawandels auf europäische Wirtschaftswälder, Reservate und Urwälder, von den Trockengebieten bis an die Kältegrenzen.
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