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Beat Presser: In den Regen- und Trockenwäldern Madagaskar

  • gregorio caruso
  • 23. Dez. 2024
  • 5 Min. Lesezeit

Die Welt stand auf Beat Pressers Nachttisch, sie drehte sich vor seinen kindlichen Augen, machte den Jungen schwindlig. Eine oder zwei Sekunden verstrichen, bis er mit dem Zeigefinger den Globus zum Stillstand brachte. Das Spiel konnte er endlos in die Länge ziehen, alles andere darüber vergessen. In welcher Weltgegend wird sein Zeigefinger landen? Welche Farben, Töne und Gerüche werden die Namen fremder Länder und Regionen in ihm evozieren? «Kerguelen», «Rapa Nui», «Surabaya»: Die Namen klangen wie fremde Musik in seinen Ohren.




«Antananarivo» ist ihm als Sehnsuchtsort im Gedächtnis haften geblieben. Den Namen der Hauptstadt Madagaskars liess sich kaum aussprechen. Dafür evozierte er eine Flut von Bildern, die in einer ganzen Kommode Platz gefunden hätte: Hölzerne Segelschiffe, die auf den Wellen des Indischen Ozeans schaukelten wie Nussschalen; Bäume mit knorrigen Ästen, die aussahen, als hätte sie eine dunkle Macht umgekehrt in die Erde getrieben; affenähnliche Tiere, deren leuchtende Augen wie Scheinwerfer aus der dunklen Nacht strahlten.


Die Traumwelt Madagaskars lichtete sich mit der Zeit wie ein dichter Nebel, ohne sich je ganz aufzulösen. In der Zwischenzeit ist der 1952 in Basel geborene Beat Presser zu einem weltweit bekannten Fotografen und Filmemacher avanciert. Er arbeitete mit Filmgrössen und Schriftstellern wie Werner Herzog, Claudia Cardinale, Klaus Kinski oder Bruce Chatwin zusammen. Mit seiner Kamera im Anschlag durchkreuzte er den Globus, immer versucht, die letzten Zeugnisse verschwindender Kulturen auf seine Foto- und Filmrollen zu bannen. Man traf ihn auf Rapa Nui in Polynesien, in den Regenwäldern Sumatras, der Sahara, im Himalaja oder auf Schweizer Alpengipfeln.



Gelbsucht – Weltsucht


1980 kehrte Beat Presser aus Südostasien vorübergehend in die Schweiz zurück. Eine Gelbsucht fesselte den Kosmo-politen ans Krankenbett. Wie zur Zeit seiner Kindertage begab er sich auf literarische Streifzüge durch unbekanntes Gefilde. Zufällig fiel ihm der Afrika-Band aus «Fischers Weltgeschichte» in die Hände. Darin fand sich ein Kapitel zur «Entdeckung» und Besiedelung Madagaskars. Und da war sie wieder, die Sehnsucht nach der unbekannten Insel im Indischen Ozean.


Doch zwischen Krankenbett und der ersten Reise nach Madagaskar lag fast ein ganzes Jahrzehnt. Prall gefüllt mit Engagements für Werner Herzog im peruanischen Dschungel und am Opernhaus in Manaus («Fitzcarraldo»), in Ghana, Kolumbien und Brasilien («Cobra Verde»). «Es kommt, wie es kommen muss», pflegt Beat Presser zu sagen. Und so war es nichts weiter als ein Wink des Schicksals, als eines Tages sein Freund und Mitbesitzer des Basler Reisebüros «Mata Hari», Azman Ismail, mit der Frage an ihn herantrat, ob er nicht einen Film über Madagaskar drehen wolle.


Es war das Jahr 1988 und der Weltenbummler liess sich nicht zweimal bitten. Schnurstracks bestiegen Beat Presser und Azman Ismail ein Flugzeug in Richtung Süden. Auf dem Flughafen von Antananarivo erwartete sie dunkle Nacht und der Polizeikommandant der madagassischen

Hauptstadt. Letzterer sollte sie bei dem geplanten Film unterstützen und dafür sorgen, dass sie nicht auf Abwege gerieten. Denn solche hatte der «achte Kontinent» einige parat. «Il faut montrer la beauté du pays», wiederholte der Kommandant und klappte seinen Kragen der Polizeiuniform gegen die einsetzende Kälte nach oben. Zumindest politisch war das Klima im Hochland der Insel aufgeheizt: Der Thron des Präsidenten Didier Ratsiraka wackelte verdächtig.



Eine Reise Kabary


Doch die hässliche Fratze der Politik trat damals noch nicht in aller Deutlichkeit zutage. Und so präsentierte sich Madagaskar noch prächtiger als die Träume der Kindheit. Die Gastfreundschaft der Menschen, die wilde Schönheit der Natur: Sie versetzte den Besucher aus der Schweiz in ihren Bann. In Madagaskar liegt nichts «next door». Die Distanzen sind enorm, das Reisen beschwerlich. Die Strassen ausserhalb Antananarivos waren bald mit ihrem Asphalt am Ende. Und auch die Eisenbahn bot keine Alternative. In mehr oder weniger unregelmässigen Abständen zuckelte ein Zug auf müden Gleisen aus der Kolonialzeit in Richtung Nordosten oder Süden des Landes. Wer es eilig hat und es sich leisten kann, der nimmt ein Flugzeug. Die Air Madagaskar steuerte über 200 Landepisten an. Auf ihren Schwingen reisten Beat Presser und Azman Ismail in die hintersten Winkel des Landes. Sie lauschten dem Schicksal der Reisbauern und den Weisen der Geschichtenerzähler. Sie besuchten Goldschürfer, Vanillepflückerinnen und Schiffsbauer. Ihr Film «Eine Reise Kabary» ist ein einmaliges Zeitdokument, das die bunte Welt Madagaskars, seine reiche Geschichte, dynamische Kultur und einmalige Natur auf die Leinwand bannt. Der Film sollte später auf den

deutschen, französischen und italienischen Sendern des Schweizer Fernsehens ausgestrahlt werden.


In den Trockenwäldern des Südens


Madagaskar liess Beat Presser nicht mehr los. Bereits 1991 kehrte er mit der Grafik- und Buchdesignerin Vera Pechel wieder auf die grüne Insel zurück. Diesmal war der «Rote

Admiral» Didier Ratsiraka im freien Fall. Die Stimmung im Land war aufgeheizt. Die Regierung schoss auf Demonstranten, es regierte die Gewalt. Wer Devisen im Sack hatte, der machte sich aus dem Staub. Die ausländischen Botschaften forderten ihr Personal und Landsleute auf, die Insel zu verlassen. Sie organisierten Notfallflüge in sicheres Gefilde. Nur Beat Presser und Vera Pechel blieben im Land. Weit im Süden, im Schatten der verlassenen Trockenwälder, konnten sich die beiden Abenteurer unbemerkt in die Büsche schlagen. «Es waren vor allem diese unglaublichen Formen der Bäume, Büsche und Blätter, die mich vom ersten Moment an faszinierten», sagt Beat Presser.


Seine Bilder zeugen von einer Ästhetik, welche die Wucht des Monumentalen mit der Zartheit des Unscheinbaren verschmelzen lässt. Es sind Baobabs, deren dunkle Baumkronen wie Feuerwerke vor einem blendend hellen Himmel explodieren. Agaven, die wie traumverlorene Kreaturen in einer kargen Landschaft stehen. Ein nie enden wollendes Muster aus Dornen, das sich symmetrisch über das ganze Bild erstreckt.



Vom Feuer zur Religion


Doch Beat Pressers Bildwelt bleibt nicht blosse Form. Dem Fotografen geht es stets um den Menschen selbst. Da ist eine Frau, die gekonnt ein Bündel Äste auf ihrem Kopf balanciert. Ein Musiker, der dem Klangkörper seiner hölzernen Gitarre eine Melodie entlockt. Pressers Bilder sind beredt. Sie erzählen die Geschichte der Harmonie des Menschen mit seiner Umwelt. Die Geschichte der Herkunft und der Vergänglichkeit. Beat Pressers Madagaskar-Bilder wurden als

Ausstellung in Basel, Berlin, Bordeaux, Dakar und vor allem auch mehrfach in Madagaskar ausgestellt. «Die Tatsache, dass es womöglich Menschen aus Indonesien waren, die zum ersten Mal ihren Fuss auf Madagaskar setzten und nicht Volksgruppen vom nahen afrikanischen Festland, hat mich stark fasziniert», sagt Beat Presser. Der Grund lag inden nautischen Fähigkeiten und den hoch entwickelten Schiffen, mit denen die Inselbewohner Sulawesis über eine lange Zeitperiode dank den Monsunwinden bis nach Madagaskar segelten. Die Faszination für die Schifffahrt sollte Beat Presser auch später nicht mehr verlassen: Überall auf der Welt erkundete er mit seiner Kamera das Leben und das Handwerk von Schiffbauern, Piraten und Kapitänen von Handelsschiffen. Auch dies ist mit ein Grund, weshalb sich der Globus noch heute rasant um den Fotografen dreht.




NBEAT PRESSER – Fotograf, Filmemacher, Reisender. Immer unterwegs, weit gereist von Ort zu Ort, von einem Moment zum nächsten. Der Abenteurer und Forschungsreisende Beat Presser erzählt in Büchern, Fotoausstellungen und Filmen von seinen Wanderschaften und Begegnungen.


Geboren 1952 in Basel. Ausbildung in Basel, Paris und New York zum Fotografen und Kameramann. Ende der siebziger Jahre Redaktor und Art Director der Foto- und Kulturzeitschriften Palm Beach News, The Village Cry (1976 – 1977) und Flitz Flying Magazine (1982). Ab 1981 enge Zusammenarbeit mit Werner Herzog. Standfotograf und Kameraassistent der Spielfilme «Fitzcarraldo» (1981) mit Claudia Cardinale und Klaus Kinski in den Hauptrollen und als Fotograf bei «Cobra Verde» (1987) und «Invincible» (2000) sowie zwei weiteren Dokumentarfilmen mit Werner Herzog. Heute neben der Fotografie unterwegs als Autor von Kurzgeschichten und Dokumentarfilmen, fasziniert davon, Geschichten von seinen Erlebnissen zu erzählen: Auf hoher See im Indischen Ozean vor der Ostafrikanischen Küste und im Indonesischen Archipel, von der Piraterie, der Insel Rapa Nui, den Pyramiden in Ägypten und Mexiko, der Porträtfotografie, der Besiedlung Madagaskars, auf den Spuren der Etrusker, von den Dreharbeiten im Dschungel von Peru, dem Leben im buddhistischen Kloster, von den Protagonisten des Neuen Deutschen Films, von magischen und mystischen Plätzen und deren Geschichte oder von der Schweiz, dort wo der hohe Himmel und das enge Tal zu Hause sind. Oder als Gastprofessor für Foto und Film auf vier Kontinenten. In enger Zusammenarbeit mit Vera Pechel (Grafik und Buchgestaltung) im Bereich Buchpublikationen und Ausstellungsgestaltung und jüngst auch mit Danit (Bildhauerin und Filmemacherin) in den Bereichen Film und Ausstellung.


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