Ein Augenschein in «Dandora», der grössten Müllhalde Ostafrikas
Fast-Fashion-Firmen in Europa produzieren immer mehr Kleider. Rund die Hälfte davon werden als Altkleider in den globalen Süden exportiert. Zum Beispiel nach Kenia. Das Land ist regelrecht zur Müllhalde von Fast-Fashion geworden. Jährlich überschwemmen 185 000 Tonnen Altkleider die lokalen Märkte. Doch 30 bis 40 % der Kleider können nicht mehr weiterverkauft werden. Sie landen im Fluss Nairobi oder auf «Dandora», der grössten Müllhalde Ostafrikas. Der norwegisch-schweizerische Fotograf Matthis Kleeb hat das Leben und Arbeiten auf den qualmenden Abfallbergen in einer Fotoreportage festgehalten.
Bilder: Matthis Kleeb; Text: Lukas Meier
Matthis Kleeb erzählt: «Wir kamen im Morgengrauen nach Dandora. Ein beissender Geruch stach uns in die Nase. Und dann sahen wir die Geiervögel mit ihren langen Schwingen, wie mythische Vorboten einer drohenden Apokalypse. Dandora ist die Endstation des globalen Warenstroms aus dem Norden. Hier verendet der grösste Teil der in Europa verkauften Billigkleider. Dandora ist das Leichentuch von Fast-Fashion, der Ort, an dem sich die glo-
balen Ungleichheiten gleichsam verdichten, das Reich der Lumpensammler. Es ist eine Gefahr für Mensch und Natur. Unweit der Mülldeponie fliesst der Fluss Nairobi in den Indischen Ozean. Er spült den Plastik aus den Textilien, der als Mikroplastik die Gewässer verschmutzt.
Nebst meiner Fotokamera habe ich Zeit im Gepäck. Zeit, mich den Arbeiterinnen und Arbeitern zu nähern, mich vorzustellen, meine Interessen darzulegen. Man muss das Vertrauen der Menschen gewinnen, bevor man den Auslöser der Kamera drückt. Ein Mann sitzt am Rand der Müllhalde. Er lädt zum Frühstück und bietet eine Tasse Tee und Samosas feil. Auch er hat Zeit. Im Minutentakt fahren grosse Lastwagen auf die Deponie und entleeren ihre Inne-
reien. Ein Wust von Waren, rausgewürgt aus dem Schlund der globalen Weltwirtschaft ergiesst sich auf die Halde. Mit geschickten Händen fahren die Arbeiterinnen in die Abfallberge und fördern hier einen Strumpf und dort eine PET-Flasche zutage. Glänzende Augenpaare, wenn die Fundstücke noch ein paar Rappen auf den lokalen Märkten abwerfen. Wie überall in modernen Branchen ist die Arbeit auf Dandora hoch spezialisiert. Die Augen einer Arbeiterin sind nur auf PET-Flaschen gerichtet, ein anderer sammelt nur Textilien und wieder ein anderer ist Experte für Elektroschrott. Einige von ihnen verstehen es, ihrer Tätigkeit auch positive Aspekte abzugewinnen. Sie sind ihr eigener Herr und nicht den Launen eines Chefs ausgesetzt. Ressentiments gegenüber der westlichen Verschwendungssucht sind auf Dandora selbst keine zu spüren.
Anders tönt es auf dem Gikomba Market, dem grössten Textilmarkt in Afrika. Hier bemängeln die Verkäuferinnen und und Verkäufer die schlechte Qualität der europäischen Kleider, um aber maliziös anzufügen, dass diese im Vergleich zu chinesischen Textilien noch fast als brillant zu bezeichnen sind. Durch die Linse meines Fotoapparates wurde ich mir des
Ausmasses der Destruktion durch die globale Textilindustrie erst richtig bewusst. Die Produktion eines einzigen neuen Paar Jeans benötigt 8000 l Wasser. Die polyesterhaltigen Textilabfälle verschmutzen Gewässer und Ökosysteme.
Meinen Freunden in der Schweiz und in Norwegen ist nicht klar, welche Konsequenzen ihre überfüllten Kleiderschränke auf Mensch und Natur haben. Viele von ihnen hängen
romantischen Vorstellungen nach. Sie glauben, ihre alten Kleider werden eines Tages in der Brockenstube in der Schweiz angeboten. Doch das Ziel ihrer Reise liegt in weiter Ferne: Es heisst Dandora.
Farida Karuma – Ein Leben auf der Kippe
Die Müllhalde «Dandora» am Stadtrand von Nairobi wurde 1977 mit Geldern der Weltbank gegründet. Sie hätte eigentlich zu einem Vorzeigeprojekt der Abfallentsorgung werden sollen. Doch vier Jahrzehnte später ist die Deponie ausser Kontrolle geraten. Täglich werden hier 2000 Tonnen Abfall abgeladen. Rund 3000 Erwachsene und Kinder sammeln auf diesem Trash-Planeten alles, was noch weiterverkauft werden kann: Elektro-Müll, PET-Flaschen, Kleider.
Eine von ihnen ist die 31-jährige Farida Karuma. Die alleinerziehende Mutter von drei Kindern arbeitet schon seit sieben Jahren auf der Kippe, sucht nach PET-Flaschen, die sie abends für wenige Franken einem Zwischenhändler verkauft. Die Arbeit ist gefährlich. Giftige Dämpfe rauben der Arbeitenden den Atem, ihr Blut ist reich an Schwermetallen wie Quecksilber oder Cadmium. Immer wieder lodern Feuer auf, die sich von selbst entzünden. Unlängst ist Farida Karuma auf einen Nagel getreten, der ihren Fuss durchbohrte.
Die Folge war ein dreimonatiger Spitalaufenthalt, während dessen sie auf die Unterstützung ihrer Leidensgenossen auf Dandora angewiesen war. «Die Solidarität unter den Arbeitenden ist gross», sagt der Fotograf Matthis Kleeb. «Wer nichts mehr hat, der muss auf die Unterstützung anderer zählen.» Farida Karuma lebt von der Hand in den Mund. Die Miete ihrer bescheidenen Hütte muss sie dem Vermieter jeden Abend bar in die Hand zahlen. Reichen ihre Tageseinnahmen aus Dandora nicht aus, dann müssen sie und ihre drei Kinder die Nacht unter freiem Himmel verbringen. Die Arbeit auf Dandora verläuft nicht chaotisch, wie die Müllberge vermuten liessen, sondern nach ungeschriebenen Gesetzen: Sexuelle Belästigung, Gewalt oder Stehlen sind tabu. Von den Arbeitenden akzeptierte «Deponie-Chefs» zeigen Regelverstösse an und ahnden sie.
Ressentiments gegenüber dem Westen kennt Farida Karuma nicht. Noch hadert sie mit ihren schwierigen Lebensumständen. Doch ohne ihren starken Glauben an ein von Gott
gezimmertes Schicksal hätte Farida Karuma wohl nicht die Kraft, alltäglich ihren Körper unter der sengenden Sonne Kenias zu beugen.
Der Weg der Kleider
Texaid sammelte im 2018 in der Schweiz fast 36‘000 Tonnen Kleider, in Europa rund 80‘000 Tonnen
Bei Texaid wandern die Kleider aus den Sammelcontainern nach Deutschland, Bulgarien und Ungarn, wo sie sortiert werden. Stücke, die zu stark beschädigt sind, um sie weiterzuverkaufen, werden zu Putzlappen oder Isoliermaterial verarbeitet. Der Rest landet in der Müllverbrennung.
Rund die Hälfte der in Europa gesammelten Kleider werden exportiert, vor allem nach Asien, Südamerika und Afrika (Kenia, Ghanal, Chile)
Bis zu 69 % der in Kleidung verwendeten Fasern sind synthetisch (vor allem Polyester). Das heisst, sie bestehen aus ölbasiertem Plastik und sind biologisch nicht abbaubar. Sie bleiben als Mikroplastikfasern in der Umwelt und gelangen in die menschliche Nahrungskette; oder verschmutzen die Luft und gefährden die Gesundheit der Menschen, wenn sie auf offenen Feuern verbrannt werden.
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